Misery Kritiken WESER-KURIER vom 31. März 2025 Zwischen Nervenkitzel und Hoffnung VON JOLA HORSCHIG Schon die Begrüßung und die Bitte, die Handys auszuschalten, ließen die Besucherinnen und Besucher aufhorchen. Die Ansage hatte einen unheilvollen Unterton, der sich mit dem Öffnen des Vorhangs verstärkte. Im Halbdunkel quollen Nebelschwaden in den Zuschauerraum, die Bühne drehte sich unaufhörlich, man hörte ein Auto krachen und eine panische Stimme, die immer wieder rief: „Atmen Sie!“ – „Atmen Sie, Paul! – „Atmen Sie!“ Dann wurde es still. Als das Licht anging, blickten die Zuschauerinnen und Zuschauer in ein piefiges Wohnzimmer, zweckmäßig, aber lieblos eingerichtet und zum Krankenzimmer umfunktioniert. Im Bett liegt der bei einem Autounfall schwer verletzte Paul Sheldon, Autor der erfolgreichen Buchreihe „Misery“. Gerettet, in ihr Haus geschleppt und medizinisch versorgt hat ihn die ehemalige Krankenschwester Annie Wilkes. Annie ist – nach ihren eigenen Worten – Pauls größter Fan und hat alle seine Romane über Misery Chastain verschlungen. Sie ist begeistert, ihr Idol in ihrem Haus versorgen zu können. Paul scheint erleichtert, dass er noch lebt und gepflegt wird. So weit, so trügerisch. Situation schaukelt sich hoch Schon bald wird deutlich, dass Annie nicht im Traum daran denkt, Paul in ein Krankenhaus zu bringen. Im Gegenteil. Sie isoliert ihn, verständigt weder seine Buchagentin noch seine Tochter und nutzt die Gelegenheit aus, dass er mit zwei gebrochenen Beinen hilflos im Bett liegt und nicht fliehen kann. Langsam bemerkt Paul bei Annie Anzeichen einer Geistesstörung und es dämmert ihm, dass er ihr komplett ausgeliefert ist. Die Situation spitzt sich zu, als Annie das Manuskript von Pauls neuem Buch liest und bemerkt, dass es nicht um Misery geht. Als sie dann auch noch feststellt, dass ihre Lieblingsheldin im letzten Band der Buchreihe beerdigt wird, eskaliert die Situation. Stephen King hat den Roman „Sie“ 1987 veröffentlicht. 1990 wurde der Psychothriller "Misery" unter der Regie von Rob Reiner verfilmt. Das Drehbuch für den Film und für das Theaterstück hat der US-amerikanische Autor William Goldmann geschrieben. Es ist schon mutig, wenn ein Boulevard-Theater einen so bekannten Psychothriller auf die Bühne bringt. Doch das Team des Weyher Theaters hat diese Herausforderung unter der Leitung von Marco Linke wirklich bravourös und sehr, sehr spannend gemeistert. Das Bühnenbild (Lisa Dittus) sorgte für eine unbehagliche Atmosphäre, die Geräusche eines Schneesturms, eines fahrenden Autos und eines kreisenden Hubschraubers verstärkten die beklemmende Stimmung, und die hervorragend geschminkten Verletzungen in Pauls Gesicht und an seinen Beinen ließen das Publikum mitleiden. Die Krönung ist die brillante schauspielerische Leistung von Heidi Jürgens (Annie) und Marc Gelhart (Paul). Es war faszinierend und gleichzeitig furchteinflößend, wie Heidi Jürgens die permanent wechselnden und unberechenbaren Stimmungen der psychopathischen Annie zum Ausdruck bringt und blitzschnell zwischen übertriebener Bewunderung, abgrundtiefem Hass und grausamem Sadismus wechselt. Mit dem schwer verletzten Paul bangt man mit und spornt ihn innerlich an, wenn er schmerzerfüllt schreiend über den Fußboden robbt. Man freut sich mit ihm, dass seine Heilung voranschreitet, er endlich im Rollstuhl sitzt, heimlich seine geschwächten Muskeln trainiert und sich in Annies Abwesenheit aus dem Zimmer befreit. Man sackt innerlich zusammen, wenn ein Befreiungsversuch kläglich scheitert und fühlt Verzweiflung, wenn Annie ihn für seine Aktion bestraft. Auch die Hoffnung, dass der unerwartet auftauchende Sheriff (Marcus Rudolph) Paul Sheldon aus seiner misslichen Lage befreit, erfüllt sich nicht. Überraschend ist, dass man die für einen Psychothriller typischen Gefühlswechsel zwischen Angst, Mitgefühl, Beklemmung und Zuversicht – anders als im Kino oder vor dem heimischen Fernseher – gut ertragen kann. Das Publikum honorierte die Leistung der Schauspieler und des gesamten Teams mit Standing Ovations. „Das Stück hat mir richtig gut gefallen“, meinte eine Besucherin. Und ihre Begleiterin bestätigte: „Ja, es war wirklich toll gespielt. Hut ab für diese starke Leistung.“ KREISZEITUNG vom 31. März 2025 Spannungsgeladene Premiere VON RAINER JYSCH Das Drei-Personen-Stück nach dem gleichnamigen Roman des Erfolgsautors Stephen King in der Bühnenfassung von William Goldman sorgte für spannungsgeladene Szenen, die den Atem der Zuschauer stocken ließen. Goldman hatte auch das Drehbuch zum oscarprämierten Hollywood-Film von 1990 geschrieben. Die Inszenierung auf der Weyher Bühne von Marko Linke zeigte eindrucksvoll, wie stark der menschliche Wille sein kann, selbst in den düstersten Momenten des Lebens. Das aufwendig gestaltete Bühnenbild von Lisa Dittus sorgte mithilfe der Drehbühne dafür, den Ort der Handlung zeitweise vom Gästezimmer in andere Räume zu verlagern. Der gefeierte Schriftsteller Paul Sheldon (gespielt von Marc Gelhart) hat gerade sein jüngstes Manuskript abgeschlossen, als er in den Bergen von Colorado/USA mit seinem Auto im Schneesturm von der Straße abkommt und sich überschlägt. Glück im Unglück: Die gelernte Krankenschwester Annie Wilkes (Heidi Jürgens) findet den lebensgefährlich Verletzten, zerrt ihn aus seinem Auto und schleppt ihn in ihr einsam gelegenes Landhaus. Als Sheldon in den Händen seiner Retterin erwacht, gibt sie sich als des Autors „allergrößter Fan“ und dessen Romanfigur „Misery“ zu erkennen. Bereits acht Bände umfasst die Serie, die Annie Wilkes mit Begeisterung „verschlungen“ hat. Als Annie Wilkes herausfindet, dass Sheldon in seinem gerade erschienenen neunten Band ihre Lieblingsheldin Misery sterben lässt, wandelt sich Annies anfängliche Fürsorge auf brutale Weise ins Gegenteil. Erbost zwingt sie den Autor durch teuflische Androhungen dazu, in einem neuen Roman Misery wieder auferstehen zu lassen. Auch Sheriff Buster (Marcus Rudolph) vermag zunächst nicht, durch seine Nachforschungen Licht ins Dunkel um das spurlose Verschwinden von Paul Sheldon zu bringen. Heidi Jürgens und Marc Gelhart wird mit der Darstellung der verschiedensten Emotionen viel abverlangt, was beide mit Bravour meistern. Heidi Jürgens gelingt es vortrefflich, Annie Wilkes‘ Faszination für die fiktive Romanfigur Misery, die Unberechenbarkeit ihrer Figur und die sehr realen menschlichen Abgründe abwechselnd zu transportieren. Die von Marc Gelhart gespielten, verzweifelten Bemühungen, sich durch Flucht oder Angriff dem Martyrium zu entziehen, zeigen gekonnt menschlich-instinktive Handlungsmuster in Stresssituationen. Auch Marcus Rudolph trägt in seiner Rolle als Sheriff Buster, stilecht mit Cowboyhut, zum Gelingen der Aufführung bei. Dem Weyher Theater ist mit „Misery“ eine fantastische Inszenierung gelungen, die neben der unvorhersehbaren Handlung besonders von den intensiven, schauspielerischen Leistungen der Bühnendarsteller lebt. Kein Wunder also, dass das Publikum das Ensemble erst nach mehreren Vorhängen mit stehenden Ovationen in den Abend entließ. Termine |