Froo Geesche Gottfried

ein bürgerliches Trauerspiel von Rainer Werner Fassbinder
Niederdeutsche Übersetzung von Gisela Mester und Dirk Römmer

Regie: Rudolf Plent
Premiere: 9. 2. 02

Geesche Gottfried
- Marion Zomerland
Johannes Miltenberger,
ihr erster Ehemann - Arnold Preuß
Michael Gottfried,
ihr zweiter Ehemann - Marc Gelhart
Johann Timm,
ihr Vater - Horst Jönck
Geesche Margarete Timm,
ihre Mutter - Brigitte Halbekath
Johann Timm,
Geesches Bruder - Harald Schmidt
Fritz Zimmermann,
ein Freund - Karl Zacher
Gerhard Rumpf,
ein Freund - Walter Bleckwedel
Bohm,
ein Vetter - Horst Karstens
Luise,
Geesches Freundin - Helga Lauermann
Pater Markus
- Klaus Aden


Kritiken

JEVERSCHES WOCHENBLATT vom 11. Februar 2002

Diese Geesche trifft ins Herz des Publikums


Niederdeutsche Bühne: Marion Zomerland brillante Charakterdarstellerin in Fassbinders Schauspiel "Froo Geesche Gottfried"

Von Ernst Richter

Wilhelmshaven.
Eine große Aufgabe stellte sich die Niederdeutsche Bühne am Stadttheater Wilhelmshaven: Fort mit dem Vorurteil, die plattdeutschen Bühnen spielen ja nur Klamaukstücke und seichte Komödien. Nach intensiven Probenwochen präsentiert die Niederdeutsche Bühne Wilhelmshaven die Tragödie "Froo Geesche Gottfried" von Rainer Werner Fassbinder nach der niederdeutschen Übersetzung von Gisela Mester und Dirk Römmer. Rudi Plent inszenierte als professioneller Gast der Wilhelmshavener Bühne das Fassbinder Stück "Bremer Freiheit". Es schildert den Leidensweg einer geschlagenen und geknechteten Frau, die keine andere Möglichkeit erkennt, als sich ihre Freiheit mit Giftmorden zu erkämpfen. Am Sonnabend war Premierenvorstellung.

Die Handlung beruht auf einer wahren Begebenheit, die sich im Bremer Raum ereignete und als Kriminalfall 1828 aufgedeckt wurde. Geesche Gottfried soll in den Jahren 1813 bis 1827 insgesamt 15 Menschen (in dem Trauerspiel sind es nur neun Tote) vergiftet haben. 1828 wurde sie verhaftet und 1831 durch das Schwert hingerichtet. Sie ist die letzte in Bremen hingerichtete Frau. Dieser Kriminalfall erregte in seiner Beispiellosigkeit in Deutschland, in Europa und selbst in Übersee ungeheueres Aufsehen.

Wer sich vom Premierenpublikum rückschauend in das Fassbinder Schauspiel versetzt, wird, ja muss, einer Person noch nachträglich uneingeschränkten Beifall zollen: Marion Zomerland in der Titelrolle als Geesche Gottfried. Sie gestaltet mit Herz, Feingefühl und Seele diese gedemütigte und ständig getretene Frau in einer bewundernswerten Charakterdarstellung. Das Publikum ist ergriffen, wird erschüttert und wäre sicher geneigt, der Giftmischerin Geesche Gottfried Absolution zu erteilen und auf Freispruch zu plädieren, wenn da nicht diese feine Nuance der Handlung herausgespielt worden wäre, dass für Froo Geesche Gottfried nach und nach der Griff zum Arsen zur ohnmächtigen Verzweifelungstat geworden ist. Sie tut das Gift in den Kaffeepott, den sie dann dem jeweiligen Opfer reicht.

Das gesamte Ensemble verstärkt mit dynamisch ausgespielter Typisierung der Figuren im Umfeld der Geesche Gottfried. Man spürt die führende Hand des Regisseurs Rudi Plent, der auch das sachlich nüchterne Bühnenbild entwarf: Ein Tisch und sechs Stühle drum herum und etwas abseits eine Wiege für die Zwillinge der Geesche, die sie in ihrer Not erstickt, weil ihr zweiter Ehemann Michael Kinder von einem anderen Mann nicht akzeptieren will. Marc Gelhart verleiht der Rolle des Michael Gottfried dramatische Züge.

Arnold Preuß spielt bravourös Geesches ersten Ehemann Johannes Miltenberger, der sich zu einem gewalttätigen Haustyrannen entwickelt hat. Er muss sterben wie ihr zweiter Ehemann Michael, der in die Fußtapfen seines Vorgängers stapft und die flehenden Liebesbezeigungen seiner Frau Geesche mit Füßen tritt. Um ihn an sich zu binden, von dem sie bereits ein Kind erwartet, verabreicht sie Michael kleine Giftmengen bis Pater Markus das Paar traut. Klaus Aden vollzieht diese Handlung und nimmt auf Geesches Wunsch die Beichte ab.

Im Laufe weniger Monate hat Geesche ihre Eltern vergiftet, die Sie nur mit Vorwürfen überhäuften. Horst Jönck verkörpert in gewohnt stoischer Ruhe die Vatergestalt, Brigitte Halbekath spielt die gottesfürchtige und nachbarhörige Mutter. Geesches Bruder Johann Timm muss ebenfalls dran glauben, dargestellt von Harald Schmidt. So rafft der Tod nach und nach die ganze Verwandtschaft und Menschen hin, die Geesche Böses antun wollen. Zu ihnen gehört auch Nachbarin Luisa Mauer, die von Helga Lauermann gespielt wird. Da ist auch noch Fritz Zimmermann, dargestellt von Karl Zacher, der sich in Geesche verliebt, gleichzeitig aber sein Geld drastisch zurückfordert: Beim Geld hört die Liebe auf! Auch ihm reicht die Gottfried den Kaffeepott. Horst Karstens gefällt in der Rolle als Vetter Bohm, ein biederer Handwerksmann, der ungeschoren davonkommt.

Das sonst lachverwöhnte Premierenpublikum verfolgt wie gebannt den ersten Akt dieses Trauerspiels. Es bleibt bis zur Pause mucksmäuschenstill im Zuschauerraum. In der Folge hat sich dar Lachdrang im Zuschauerraum wie in einem Schnellkochtopf aufgestaut und bricht sich hier und da mit glucksender Kicherei unvermittelt Bahn. Zum Glück tritt Walter Bleckwedel als Rumpf auf und setzt dem grausigen Spiel rechtzeitig ein Ende, das sonst zur Farce abzugleiten drohte. Er, Rumpf, ist Geesche auf die Schliche gekommen und überlässt der gepeinigten Giftmörderin das resignierende Eingeständnis: Nun bin ich wohl dran.

Die Szenenübergänge werden musikalisch (Nicolas C. Ducci) begleitet, stimmen das Publikum ein. Und Marion Zomerland singt nach jeder Tat Geesches Lied: "Vun de Welt will ik nu Taten, op den Himmel will ik to. Dor is Freden ganz ohn Maten, un mien Seel find endlich Roh".

Die Niederdeutsche Bühne will sich mit diesem dramatischen Schauspiel am "Willy-Beutz-Wettbewerb" beteiligen und dürfte damit die besten Chancen haben. Die weiteren Aufführungen: 15., 17. Februar, 2., 3., 10. März, Beginn jeweils um 20 Uhr; 17. Februar und 3. März zusätzlich um 15.30 Uhr.


WILHELMSHAVENER ZEITUNG vom 11. Februar 2002

Moral als eine Scheingröße

NDB Premiere "Froo Geesche Gottfried" beeindruckte Publikum

Von Inga Hellwig


Sind neun Giftmorde durch den Erhalt der eigenen Würde zu rechtfertigen? Vier Stühle und ein Tisch reichten dem Ensemble der Niederdeutschen Bühne aus, um am Sonnabend mit "Fron Geesche Gottfried" die wahre Geschichte der 1831 hingerichteten Giftmörderin Geesche Gottfried in der niederdeutschen Übersetzung des Fassbinder Trauerspiels "Bremer Freiheit" aufzuführen. "Froo Geesche Gottfried" erzählt in einfachen, beklemmend direkten Szenen den Automatismus von Unterdrückung und Gewalt, der die von allen Seiten gedemütigten Frau, erst in die Auflehnung gegen die bürgerliche Unfreiheit und schließlich in rebellische Monstrosität treibt.

Mit Marion Zomerland als Geesche verpflichtete Regisseur Rudi Plent eine Akteurin, die die allmähliche Verzweiflung der Geesche und die gleichzeitig von Mord zu Mord größer werdende innere Stärke mit ergreifender Distanz auf die Bühne bringt.

"Ruhe das ist der Tod ik aber will leben" erklärt Geesche Gottfried in einem zentralen Satz. Um sie herum regiert der Tod. Mit ihrem Ehemann Johannes Miltenberger (Arnold Preuß) und ihrer Mutter Margarethe Timm (Brigitte Halbekath), sterben Menschen, die sie unterdrücken, quälen und als Mensch missachten.

Doch erst nach dem Tod ihrer Kinder und des zweiten Lebensgefährten Michael Gottfried (Marc Gelhart), spricht sie in der Beichte zu Pater Markus (Klaus Aden) aus, was die Zuschauer längst ahnten. Nicht Schicksal, sondern Gift, sind der Hintergrund für die Todesfälle. Als auch der Geistliche keine Antwort darauf geben kann, ob die menschlich Würde oder die Moral höher stehen, wird das Morden zum wahnsinnigen Mechanismus. Bürgerliche Wertvorstellungen werden zur Scheingröße. Zur Erhaltung ihrer gewonnenen Freiheit entledigt sich die Frau jedem, der ihr zu nahe tritt.

Ihre nächsten Opfer sind ihr Vater (Horst Jönck), Gläubiger Fritz Zimmermann (Karl Zacher), ihr Bruder Johann (Harald Schmidt) und schließlich die Nachbarin Luisa Mauer (Helga Lauermann). Mit dem Lied "Vun de Welt will ik nu laten", das wie eine liturgische Formel am Ende, jeden Mordes steht, wird jede Tat vollendet. Die Schlichtheit der Aufführung und die niederdeutsche Sprache erzeugen dabei eine fast dokumentarische Authentizität.

Mit dem Trauerspiel "Fron Geesche Gottfried", bei dem das NDB Ensemble beweist, dass es das ernste Genre hervorragend beherrscht, bewirbt sich die Niederdeutsche Bühne für den Willy Beutz-Schauspielpreis. Das Premierenpublikum erteilte Regisseur Rudi Plent und den 11 Darstellern berechtigte Vorschusslorbeeren.

Souffleuse: Berta Brinkhoff, Maske : Margitta Pust, Requisite: Monika Eilers, Bühnenbau: Günter Scherf, Horst Vollbrecht, Bühnentechnik: Timo Dörnath, Werner Dörnath, Gerd Gelhart, Bühnenmalerei: Nicole Burfien, Beleuchtung: Peter Pfaus, Uwe Freiberg, Technische Leitung: Werner Dörnath, Gerd Gelhart, Inspizienz: Anke Schluppkotten.


GUTEN MORGEN SONNTAG vom 24.Februar 2002

Froo Geesche Gottfried Trauerspiel von Rauner Werner Fassbinder

Schauspieler überzeugten - Publikum bedrückt

Von Maike Stübner

Wilhelmshaven.
Wer unvorbereitet in die Premiere am 26. Januar im Stadttheater gegangen ist, der war sicher überrascht. Es muss nicht immer Komödie sein, gerade weil das bei Plattdeutschen Inszenierungen meißtens vorausgesetzt wird. Diesmal gab es ein Trauerspiel nach einer wahren Begebenheit. Geesche Gottfried wurde 1775 in Bremen geboren. Die Eltern Vater Johann Timm und Mutter Geesche Margarethe lebten in äußerst bescheidenen Verhältnissen. Mit zwanzig heiratete Sie auf Wunsch des Vaters. Ihr Mann misshandelte Sie und so war er der Erste, der nach Jahren der Quallen den Tod fand. Geesche brachte mit Arsenik, dem Mäusegift, in den fogelnden Jahren einige Leute um.

"Vun de Welt will ik nu laten, op den Himmel will ik to. Dor is Freden ganz ohn Maten, un mien Seel find endlich Roh ...." Spätestens bei dieser musikalischen Einlage der Geesche war klar, das wieder jemand einen Tod sterben wird. Doch mehr soll hier nicht verraten werden, denn das Stück ist noch vier mal im März zu sehen.

Marion Zomerland in der Rolle der Geesche ist absolut überzeugend. Sie scheint auf der Bühne vollkommen in der Geesche Gottfried zu stecken. Doch auch die anderen Schauspieler sind hervorragend. Da ist Marc Gelhart in der Rolle des zweiten Ehemannes, der einen mitleiderregenden Tod findet. Arnold Preuß als der erste Ehemann, der beängstigend gut den bösartigen Miltenberger spielt.

Mit diesem Stück hat sich das Essemble der Niederdeutschen Bühne Wilhelmshaven für den Willy-Beutz-Preis beworben. Unter der Regie von Rudolf Plent gibt es hier auch eine gute Chance. Unter Plents Regie haben bereits sechs Schauspiele innerhalb des Niederdeutschen Bühnenbundes den Willy- Beutz-Preis verliehen bekommen. Die Zuschauer sind auf jeden Fall auf Seite der Schauspieler.

Weitere Vorstellungen: 2. und 3. März um 20 Uhr; 3. März um 15.30 Uhr und letzte Aufführung am 10. März um 20 Uhr.


Wilhelmshaven, 28 März 2002

QUICKBORN - Zeitschrift für plattdeutsche Sprache und Literatur

92. Jahrgang - Heft 1 - 2002

THEATER


Froo Geesche Gottfried in Wilhelmshaven

Machtkampf der Geschlechter? Parteiisches Theater für Feministinnen mit starrem, negativem Männerbild? Reinwaschung für eine Massen Mörderin? Oder von der Geschichte längst überholtes Lehrstück über die Repressionsmechanismen in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts?

Man verlässt das Stadttheater von Wilhelmshaven nach diesem Fassbinder Stück (auf Plattdeutsch von Gisela Mester und Dirk Römmer) mit gemischten Gefühlen. Im Vordergrund aber steht doch die Hochachtung vor der schauspielerischen Leistung der Hauptdarstellerin Marion Zomerland, vor der knappen, akzentsicheren Regie von Rudolf Plent und das Mitleiden, ja, Trauern für die historische Person Geesche Gottfried, die als "Giftmörderin" im Jahre 1831 in Bremen hingerichtet wurde und in Wahrheit doch nur eine wache, gequälte und ihrer Zeit vorauseilende Vorkämpferin für die Emanzipation der Frau war in einer erbarmungslosen Zeit lebend und "vun Minschen un vun Gott verlaten...".

Das Trauerspiel stellt die lange Lebens und Leidensgeschichte der Geesche Gottfried dar, die 1775 in Bremen geboren wurde und von ihren bigotten Eltern als Zwanzigjährige in eine Ehe mit einem ungeliebten, tyrannischen Mann gesteckt wird, den sie schließlich mit Arsenik umbringt. Als der von ihr wirklich geliebte Mann Michael Gottfried zögert, sie zu heiraten, selbst, als sie von ihm schwanger geworden ist, vergiftet sie auch diesen. Im Stück geschieht das quasi aus Versehen, erst nachdem Geesche ihn dazu gebracht hatte, sie doch noch zu ehelichen, so dass sie seinen Namen tragen konnte. Die Zurückweisung der schwangeren Geesche durch den Michael Gottfried ist eine der stärksten, ja, schrecklichsten Szenen des Stücks. Von Marion Zomerland großartig gespielt, zeigt Geesche in diesem Moment den Umschwung ihres Bewusstseins von einer in Notwehr handelnden Frau zu einer weiblichen Rachegöttin gegenüber einer durchweg gefühllosen, egoistischen und selbstverliebten Männerwelt. Weitere Morde an ihren Eltern, ihrem Bruder, Freundinnen und Freunden, die Geesche in die bürgerliche Zwangsjacke zurückdrängen wollen, schließen sich an.

Die Wilhelmshavener Aufführung stellte sehr einprägsam die Wandlung der Geesche von der unterdrückten, Liebe suchenden und nicht findenden, verzweifelten jungen Frau zu der Rache Furie dar. Dabei behielt diese Figur stets die Sympathie und das Mitleid der Zuschauer. In einem eher kargen Bühnenbild, das sich auf eine Tapetenrückwand, Tisch, Stühle, Wiege und Wischeimer beschränkte, entwickelte die Niederdeutsche Bühne eine hervorragende Ensembleleistung. Leitmotive bildeten ein wichtiges Gerüst: Das Lied "Vun de Welt will ik nu laten..." gesungen, von Geesche bei jedem ihrer Giftmorde; die Kaffeetasse mit dem Gift immer wieder angeboten und bereitwillig getrunken von den Männern, den Fieslingen, die eben diesen Kaffee patriarchalisch für sich herbeibefehlen, als ein ironisches Unterwerfungsritual bürgerlicher Häuslichkeit; die roten Haare Hexe! der Geesche und ihres Bruders. Leider führte aber die vergiftete Kaffeetasse beim Wilhelmshavener Publikum zu einem Wiedererkennungs und Lacherfolg, der gänzlich unpassend war und den Rezensenten geärgert hat.

"Froo Geesche Gottfried" von Rainer Werner Fassbinder, plattdeutsch von Gisela Mester und Dirk Römmer, Regie: Rufolf Plent, Stadttheater von Wilhelmshaven. Erhard Brüchert


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