Micetro Impro
Improvisationsshow
Leitung: Frank Fuhrmann
Premiere: ??.??.99 im Jungen Theater
Kritiken
WILHELMSHAVENER ZEITUNG vom 4. März 1999
Mit Omas Gewehr zur Lotto-Bude
Der renommierte Theaterlehrer Keith Johnstone besuchte den Jugendclub
Von Martin Wein
Aus sich heraus gehen, Geschichten erzählen, Rollen erfmden: Den fast zertretenen Grashüpfer, den Lotto-König, der gleich nach der Ziehung seinen Gewinn an der "Bude" abholen will, den Sohn, der das väterliche Tagebuch liest. Schlagfertigkeit, ein Gespür für Stimmungen und viel Phantasie, das alles lernen die Mitwirkenden im Jugendclub des Jungen Theaters um den Theaterpädagogen Frank Fuhrmann und den Pädagogik-Studenten Christian Sprute. Mit ihrer Improvisationsshow "Micetro Impro" wagen sich die 16 Schüler und Studenten auf die Bühne, obwohl sie zwar die verschiedenen Spiele, nicht aber deren Ausgang kennen.
Aus Calgary (Kanada) war zur Vorstellung am Dienstag der "Micetro"-Erfinder Prof. Keith Johnstone zum Jungen Theater gereist, der in Oldenburg und Bremen gerade Workshops für Theatermacher leitet, bevor er zu weiteren Seminaren nach Hong Kong, Tokyo und Sydney reist. Als Leiter der Autorengruppe am Royal Court und als Lehrer für Comedy an der Royal Academy of Arts in London hat Johnstone die Improvisation in den 50er und 60er Jahren in England und Amerika populär gemacht. "Nur in der Öffentlichkeit ließ sich testen, was beim Publikum ankam. Das war damals in England noch verboten, aber man hat mich nicht gleich eingesperrt", erzählt der inzwischen emeritierte Professor mit ruhiger Stimme im Gespräch mit der WZ.
Was zuerst als Lerntechnik zur Überwindung der Bühnenangst - "alle Schauspieler leiden furchtbar darunter" - gedacht war, gewann schnell an Eigendynamik, denn "improvisierte Comedy ist oft viel frischer als ein vorgefertigtes Programm." Ernste Themen seien mit improvisierten Szenen dagegen schwer zu bearbeiten: "Das wirkt ermüdend wie eine Serie von Autounfällen." Gegen den wuchernden Nonsens zieht Johnstone trotzdem zu Felde: "Wer den Zuschauern nur das präsentiert, was sie sehen wollen, wird schnell niveaulos. Ein Problem, das sich auch in der Wilhelmshavener Vorführumg schnell zeigt, wo einige Darsteller bereits genau wissen, welche Art von Pointen beim Publikum die meisten Punkte bringt."
Ein guter Improvisator sei ein guter Erzähler, der etwas zu sagen habe, erklärt der Altmeister, der seine Technik an die frühe Comedia del arte angelehnt sieht. "Die war lange nicht so formal verfestigt wie in ihrer Schlußphase, die wir gemeinhin kennen." Zu den Improvisationen kämen vor allem junge Leute, ein Publikum, das vom herkömmlichen Theater nicht erreicht wird. "Für viele Menschen ist Theater nur eine soziale Pflichtübung. Kein Wunder: Oft ist es einfach langweilig. Theater wird zu einem Museum - nichts gegen Museen - wenn es schlicht andere Theater kopiert. Wenn es seine Stoffe aus dem Leben nimmt wie die Improvisation, dann bleibt es am Leben."
Theater müsse auch für die Darsteller ein Vergnügen sein, fordert Johnstone. Das ist beim Jugendclub gewiß der Fall, der trotz der Abiturklausuren am nächsten Tag für einen amüsanten Abend sorgte.
Als Siegerin des Abends konnte Heike Penning den Plüschgeier "Pauline" mit nach Hause nehmen. Im Gegensatz zum "normalen" Theater verteilt das Publikmn hier sofort gnadenlos Noten für die Darsteller und ihr Spiel. Da würden manche Profis wohl ziemlich alt aussehen. Am 14. März muß Heike Penning ihren Titel bei der nächsten Improvisationsshow verteidigen, um 20 Uhr im Jungen Theater.
JEVERSCHES WOCHENBLATT vom 29. April 1999
Wenn Jugendliche die "romantischste Szene der Welt" improvisieren müssen...
...dann ist Erfindergeist gefragt / Der Jugendclub des Jungen Theaters spielt wieder am 4. und 9. Mai
Von Wiebke Eden
Wilhelmshaven. "Ich find's cool, daß man hier Sachen machen kann, die man zu Hause nicht machen kann - laut rumschreien und so. Und außerdem sind die Leute hier voll nett", erzählt Katrin, 16, lichtblonde Prachtmähne, silbern blitzt es zwischen weißen Zähnen - gepierctes Lippenband. "Ich hab' Spaß an der Schauspielerei. Bei der Niederdeutschen Bühne bin ich auch dabei. Schauspielen soll mein Hobby bleiben, aber wenn sich's ergeben sollte, würde ich das auch professionell machen", sagt Marc, 20, Jeans, kariertes Hemd. "Ich möchte Regisseur werden - darum bin ich hier", erklärt Nicolas, 17, fröhliches Gesicht, schwarze Haare, Streifen-T shirt, zerrissene Jeans.
Katrin, Marc und Nicolas sind drei von insgesamt 20 jungen Menschen zwischen 16 und 28 Jahren, die im Jugendclub des Jungen Theaters aktiv sind. Einmal wöchentlich treffen sie sich im Stadttheater, manchmal auch zusätzlich zum Intensivproben an den Wochenenden oder zum Straßentheater in den Osterferien. Ihr Leiter und Lehrer ist der Theaterpädagoge Frank Fuhrmann (39).
Dienstag abend, Stadttheater, Probebühne West. Ein schwarzer Raum, schwarz die Wände, schwarz der Boden. Theaterfeeling pur. Ein knappes Dutzend Spielerinnen und Spieler sind da. Frank Fuhrmann gibt eine Szene vor: Ein Paar (Katrin und Nicolas) in einem feinen Restaurant, einer ist der Kellner (Marc). Die drei sollen spielen, was ihnen spontan einfällt. "Bestellt etwas zu trinken", regt Frank Fuhrmann an. "Du", er zeigt auf Nicolas, "sagst ihr, daß du eine andere Freundin hast." Und zu Katrin gewandt: "Bestell' dir einen Wodka, werde wütend." Katrin lacht, winkt den Ober herbei und kippt sich aufgebracht den imaginären Schnaps in den Rachen.
Bei aller Dominanz, die Frank Fuhrmann mit seiner Position haben mag - er ist keiner, der Texte zum Auswendiglernen aufgibt oder feste Rollen zum Einstudieren. Das Ansinnen seiner Arbeit ist es, die Spielerinnen und Spieler zu "Spontaneität, Offenheit und Kooperation" zu ermutigen und ihnen damit schauspielerische Grundlagen zu vermitteln. Im Jugendclub wird Theater weitestgehend improvisiert, fern von Zwängen und Lesitungsdruck. Wie mit der Szene im Feinkostrestaurant werden Themen vorgegeben, die die Jugendlichen von einer Sekunde zur anderen szenisch umzusetzen versuchen.
Weiter geht's auf der Probebühne West. Drei Jungen - "Ihr seid 10 Jahre alt" - machen eine Nachtwanderung im dunklen, dunklen Wald. Hilfe, es ist unheimlich. Einer fällt in eine Grube. Nächste Szene. Ein Sportkommentator moderiert Stuhlweitwurf: "Jetzt kommt Martina Heinz. Wir warten gespannt auf ihren Einlauf...ähm...Anlauf..." Die Akteurin bewegt sich im Zeitlupentempo.
Daß für Außenstehende von den Dialogen der Spielerinnen und Spieler kein Wort zu verstehen ist, liegt an der Sprache: diese ist eine Phantasiesprache, spontan artikuliert, keiner Grammatik oder festgelegten Lauten folgend, lediglich auf den Sprachfluß kommt es hier an. "Das da eben hatte einen slawischen Einschlag", lächelt Frank Fuhrmann. Das nächste klingt irgendwie spanisch: Hasta la vista! Das Witzige daran: Die Darsteller reagieren so nicht auf Worte, sondern auf Mimik und Gesten, Wenn der Jugendclub am kommenden Montag Besuch von französischen Austauschschülern aus Wittmund bekommt, wird es also keine Verständnisschwierigkeiten geben.
Heute Abend beim Festival in Emden
Das gehört im Jugendclub auch dazu - der Auftritt vor anderen und in der Öffentlichkeit . Im Moment liegt viel an: Wenn heute, Donnerstag, das Deutsch-Niederländische Kinder- und Jugendtheaterfestival in Emden beginnt, ist der Jugendclub aus Wilhelmshaven mit von der Partie mit "Szenischen Leckerbissen am Wegesrand" (Beginn 19 Uhr), einem Theaterspaziergang durch Emden. Zum Beispiel wird an einer Boje Station gemacht, die als fiktives Schiff dient. Auch hier kommt es auf das Erfinden von Szenen an - genauso wie bei dem Stück, das der Jugendclub seit Januar immer wieder aufführt: "Micetro Impro" heißt es und stammt von dem Kanadier Keith Johnstone. "Micetro Impro" ist ein rasanter Improvisationswettbwerb, in der die Spielerinnen und Spieler per Los von Szene zu Szene zusammengewürfelt werden und gegeneinander antreten. Denn nur eine(r) kann "Maestro" im Improvisieren werden - schließlich sind die szenischen Aufgaben, die den Akteuren gestellt werden, immer wieder anders. Da werden Gegenstände wie ein Tisch oder Stuhl dargestellt, ein Dia-Vortrag vom letzten Frankreich-Urlaub, Stummfilmszenen, Begrüßungsrituale oder - pikant - "die romantischste Szene der Welt in zwei Minuten". Das Publikum indes vergibt Punkte an die Spieler- wer am besten improvisiert, bekommt "Pauline", einen Plüschvogel, der als Wanderpokal dient. Jeder Abend ist für Akteur und Zuschauer unwiederbringlich.
Die nächsten Aufführungen für "Micetro Impro" gibt es am Dienstag, dem 4. Mai, und am Sonntag, dem 9. Mai, jeweils um 20 Uhr im Jungen Theater in der Rheinstraße 91. Schiefgehen kann eigentlich nichts: Das Probieren auf der Probebühne West zeigte - die Jugendlichen sind bestens gerüstet, für "Micetro Impro" und fürs Leben. FRank Fuhrmann: "Ich glaube, wer gut improvisieren kann, kann sich auch sonst ganz gut durchboxen."
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